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GERICHTSURTEIL
Als „grotesk" bewertete das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg den Vorschlag einer Finanzierungsberaterin, beim Kauf eines Hauses fehlendes Eigenkapital durch den Erwerb einer weiteren, voll finanzierten Immobilie - hier einer Eigentumswohnung - zu ersetzen. Wegen „vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung" muss die Beklagte nun nicht nur diesen Wohnungskauf rückgängig machen, sondern auch den Käufern Schadensersatz leisten.
Im konkreten Fall wollten die Kläger für sich und ihre zwei kleinen Kinder ein Reihenhaus erwerben. Problematisch war aber, dass die Eheleute keinerlei Eigenkapital besaßen und auch das monatliche Familieneinkommen - der Ehemann arbeitete als Kraftfahrer, seine Frau jobbte auf 400 Euro- Basis als Verkäuferin - mit ca. 2400 Euro nicht sehr hoch bemessen war.
Hilfesuchend wandten die in geschäftlichen Dingen gänzlich unerfahrenen Kläger sich daher an die Finanzberaterin B. Diese errechnete einen Kostenaufwand von 216.000 Euro für das Reihenhaus und vermittelte zwei Darlehen über insgesamt 171.000 Euro. Zusammen mit einem weiteren Kredit über 45.000 Euro, den ihnen ein anderer Finanzberater andiente, hätte das für den gewünschten Hauskauf ausgereicht. Aber: Nachdem die Beraterin B. weitere Gespräche geführt hatte, meinte sie, die Kläger müssten entgegen der ursprünglichen Annahme nun doch eigenes Kapital nachweisen, um von den Banken überhaupt als kreditwürdig angesehen zu werden. Dies sei aber im Ergebnis kein Problem, denn für den Eigenkapitalnachweis sei der zusätzliche Kauf einer Eigentumswohnung geradezu ideal.
Dabei traf es sich - zumindest aus Sicht der Beraterin - gut, dass sie nicht nur Finanzberatungen durchführte, sondern auch zusammen mit ihrem Ehemann für eine Liegenschaftsgesellschaft - die im hiesigen Verfahren Beklagte - Immobilien vermittelte. Schnell hatte sie daher Bilder einer Eigentumswohnung in Nürnberg zur Hand, die sie den Klägern zum - ebenfalls voll finanzierten - Kauf für 129.000 Euro anbot. Ursprüngliche Bedenken der Kläger gegen den Erwerb von gleich zwei Immobilien, ohne irgendwelche Ersparnisse zu haben, verstand sie auszuräumen. Im November 2006 wurde der Kaufvertrag über die Eigentumswohnung geschlossen. Diese konnte ab dem 01.01.2007 vermieten werden.
Bald allerdings geriet die junge Familie in finanzielle Schieflage: Während sie die Darlehensraten für ihr Reihenhaus gerade noch regelmäßig aufbringen konnte, wurde die Finanzierung der Eigentumswohnung, die weniger Miete abwarf, als für sie an die Bank monatlich zu zahlen war, notleidend. Als dann in der Wohnung auch noch Schimmel entdeckt wurde, fochten die Kläger den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an und zogen im Jahr 2008 vor das Landgericht Nürnberg-Fürth.
Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung?
Dort hatten sie mit ihrer Klage auf Rückgängigmachung des Kaufvertrags über die Eigentumswohnung und Ersatz der hierfür getätigten Aufwendungen zunächst keinen Erfolg: Weder konnte das Landgericht erkennen, dass die beklagte Vermittlungsgesellschaft Mängel der Wohnung arglistig verschwiegen hatte, noch sah es die Beklagte wegen ungenügender Aufklärung und Finanzierungsberatung in der Pflicht, Schadensersatz an die Kläger zu leisten.
Ganz anders wurde die Sach- und Rechtslage erst in der Berufungsinstanz bei dem Oberlandesgericht Nürnberg beurteilt. Nachdem die Kläger dort eingehend von den Richtern zu den Umständen des Immobilienkaufs befragt worden waren, stellte sich nämlich jetzt erst heraus, dass sie die streitgegenständliche Eigentumswohnung gar nicht isoliert erworben hatten, sondern lediglich, um hierdurch „Eigenkapital" für den angestrebten Kauf „ihres" Reihenhauses zu generieren. Auch wurde offenkundig, dass die beklagte Gesellschaft selbst gerade einmal fünf Tage vor dem Notartermin mit den Klägern die für 129.000 Euro veräußerte Eigentumswohnung im Wege der Zwangsversteigerung zum Preis von 49.000 Euro erworben hatte.
Existenzgefährdung der Kunden wurde in Kauf genommen
Als „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung" wertete der Zweite Senat des OLG Nürnberg mit Urteil vom 23.03.2011 dieses Verhalten der Beklagten und sprach den Klägern Schadensersatz zu. Die Empfehlung der Beraterin B., das für den Erwerb eines Hauses fehlende Eigenkapital durch den gleichzeitigen Ankauf einer ebenfalls voll fremdfinanzierten Eigentumswohnung zu generieren, könne „nur als grotesk" bezeichnet werden. Nach Auffassung des Senats hätte keine seriös arbeitende Bank in Kenntnis der wahren Verhältnisse der Kläger diesen gleichzeitigen Ankauf zweier Objekte finanziert. Dabei habe sich die Beraterin unter dem Deckmantel, trotz fehlenden Eigenkapitals eine Möglichkeit für den Erwerb eines Eigenheims gefunden zu haben, in das Vertrauen der Kläger eingeschlichen. Die damit einhergehende Existenzgefährdung der Kläger sei ihr völlig gleichgültig gewesen. Ihr und ihrem Ehemann, mit dem sie arbeitsteilig die Ersteigerung und den sofortigen Weiterverkauf der Eigentumswohnung betrieben habe, sei es ausschließlich um Gewinnmaximierung gegangen. Ein derartiges Geschäftsgebaren verstoße „massiv gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden". Das Verhalten ihrer Mitarbeiter müsse sich die beklagte Gesellschaft zurechnen lassen. Diese hat nunmehr die Wohnung zurückzunehmen und ca. 140.000 Euro an die Kläger zu leisten. (ac)
OLG Nürnberg, Urteil vom 23.03.2011, Az.: 2 U 417/10 (nicht rechtskräftig)
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