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SICHERHEIT | Medienspiegel & Presse |
Die steuerlichen Verzinsungstatbestände stehen auf dem Prüfstand. Nach der Senkung des Zinssatzes für Steuernachzahlungen und -erstattungen rückt nun auch die Verzinsung von Stundungs- und Aussetzungszinsen in den Fokus. Der Bundesfinanzhof fordert den Gesetzgeber zum Handeln auf, um die Regelungen an die aktuellen wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen. Eine Reform scheint unausweichlich.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einer richtungsweisenden Entscheidung die gesetzlichen Regelungen zur steuerlichen Verzinsung in den Fokus genommen und den Gesetzgeber erneut zur Reform aufgefordert. Nachdem bereits 2021 der Zinssatz für Steuernachzahlungen und -erstattungen als verfassungswidrig eingestuft und in der Folge gesenkt wurde, geraten nun auch die anderen steuerlichen Verzinsungstatbestände unter Druck. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob der geltende Zinssatz von sechs Prozent pro Jahr noch verfassungskonform ist, insbesondere angesichts des seit Jahren historisch niedrigen Zinsniveaus auf den Finanzmärkten.
Der Bundesfinanzhof hatte in seiner Entscheidung klargestellt, dass es insbesondere bei Aussetzungs- und Stundungszinsen einer neuen Bewertung bedarf. Steuerpflichtige, die beispielsweise aufgrund von rechtlichen Auseinandersetzungen oder finanziellen Engpässen Zinszahlungen an den Fiskus leisten müssen, könnten derzeit in unverhältnismäßig hohe Zinsbelastungen gedrängt werden. Der Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat, der einem Jahreszins von sechs Prozent entspricht, sei nach Ansicht der Richter nicht mehr zeitgemäß und müsse dringend überprüft werden.
Bereits die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2021, die den Zinssatz für Steuernachzahlungen und -erstattungen in seiner bisherigen Höhe als verfassungswidrig einstufte, führte zu einer Reduktion auf 1,8 Prozent pro Jahr. Nun geht es jedoch um die weiteren Zinstatbestände, die in der Abgabenordnung geregelt sind. Der Bundesfinanzhof argumentiert, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der aktuellen Regelungen von einem Zinsniveau ausging, das heute längst nicht mehr den wirtschaftlichen Gegebenheiten entspricht.
Vor allem für Unternehmen, die größere Steuernachzahlungen oder laufende Steuerverfahren haben, kann die aktuelle Zinslast zu erheblichen finanziellen Belastungen führen. Kritiker argumentieren, dass der Staat hier eine unfaire Einnahmequelle nutzt, die in Zeiten negativer Realzinsen nicht mehr gerechtfertigt sei. Gleichzeitig warnen Vertreter der öffentlichen Hand davor, eine zu starke Absenkung der Zinsen könnte die Staatseinnahmen spürbar schmälern und finanzpolitische Lücken aufreißen.
Im politischen Raum wird das Thema kontrovers diskutiert. Während Wirtschaftsverbände und Steuerberaterkammern eine sofortige Absenkung der steuerlichen Zinsen fordern, um die Steuerzahler zu entlasten, mahnen Finanzpolitiker zur Vorsicht. Der finanzielle Handlungsspielraum des Staates dürfe nicht übermäßig eingeschränkt werden, zumal die Zinsen bislang eine verlässliche Einnahmequelle darstellten. Ein möglicher Kompromiss könnte darin bestehen, den Zinssatz nicht komplett abzuschaffen, sondern dynamisch an die Marktbedingungen anzupassen, ähnlich wie es bei vielen anderen staatlichen Verzinsungsmodellen bereits der Fall ist.
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs übt jedoch zusätzlichen Druck auf den Gesetzgeber aus. Die Richter betonten, dass es keine weitere Verzögerung bei der Neuregelung geben dürfe. Der Gesetzgeber müsse nun handeln, um eine verfassungskonforme Lösung zu schaffen, die sowohl den Steuerzahlern als auch den staatlichen Interessen gerecht wird.
Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs kommt zur rechten Zeit. Es ist ein längst überfälliger Schritt, die steuerlichen Verzinsungstatbestände auf den Prüfstand zu stellen. Sechs Prozent Zinsen pro Jahr mögen einst eine realistische Kalkulationsgrundlage gewesen sein, doch in einer Zeit, in der die Leitzinsen auf historischem Tiefstand verharren, ist dieser Zinssatz nicht mehr haltbar. Steuerpflichtige dürfen nicht länger als unfreiwillige Kreditgeber des Staates agieren, indem sie unverhältnismäßig hohe Zinsen zahlen, die in keinem Verhältnis zu den aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stehen.
Der Gesetzgeber steht vor einer schwierigen Aufgabe: Auf der einen Seite sind die Steuerzahler, die eine spürbare Entlastung erwarten, auf der anderen Seite die Staatshaushalte, die nicht auf diese Einnahmen verzichten wollen. Doch es darf nicht vergessen werden, dass es hier um die Wahrung der Verhältnismäßigkeit geht. Ein Zinssatz, der nicht mehr den wirtschaftlichen Realitäten entspricht, untergräbt das Vertrauen in das Steuersystem und stellt die Legitimität staatlicher Zinsforderungen infrage.
Es wäre vernünftig, wenn der Gesetzgeber zu einem dynamischen Zinssystem übergeht, das sich an den realen Marktbedingungen orientiert. Das würde nicht nur Steuerpflichtigen faire Bedingungen schaffen, sondern auch die Rechtssicherheit erhöhen. Schließlich sollte der Staat nicht von Zinsen profitieren, die nur aufgrund von veralteten Regelungen bestehen, während der Steuerzahler unter einer ungerechten Last leidet.
Die Zeit drängt, und der Gesetzgeber muss nun handeln. Ein ausgewogenes und modernes Zinsmodell könnte nicht nur das Vertrauen in das Steuersystem stärken, sondern auch einen nachhaltigen fiskalischen Ausgleich schaffen. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs sollte als Weckruf verstanden werden – für eine längst überfällige Reform.
Von Engin Günder, Fachjournalist
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