Sehr geehrte Apothekerin, sehr geehrter Apotheker,
hier ist der vollständige Text für Sie:
Essen - Jüngst senkte die Bundesregierung die Mehrwertsteuer für das Hotelgewerbe von 19 auf 7 Prozent. Das kostet den Staat 1 Milliarde Euro. Hotelketten und kleine Pensionen profitieren gleichermaßen davon, denn aktuellen Meldungen zufolge wird die Senkung mitnichten an den Endverbraucher weitergegeben. Die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel bleibt derweil bei 19 Prozent. Und das, obwohl dieser hohe Steuersatz eine massive Belastung für die gesetzliche Krankenversicherung und damit für das gesamte, schon seit langem geschröpfte Gesundheitswesen darstellt. Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung für Deutschland greift die Thematik im Leitartikel der Februar-Ausgabe auf und begründet, warum eine Mehrwertsteuersenkung auf Arzneimittel längst überfällig ist.
Die Neue Allgemeine Gesundheitszeitung erscheint monatlich
deutschlandweit mit einer Auflage von 1 Million Exemplaren und ist
kostenlos in Apotheken erhältlich.
7 % Mehrwertsteuer statt 19 %
WARUM HOTELS? WARUM NICHT ARZNEIMITTEL?
Horst Seehofer, der bayrische Ministerpräsident, bekräftigte es am 15.
Juli 2009 auf einer Veranstaltung des Bayerischen Hotel- und
Gaststättenverbandes: Er wolle so lange für eine Senkung des
Mehrwertsteuersatzes im Gastgewerbe eintreten, bis sie wirklich da sei.
Lange mussten die großen Hotelketten und die kleinen Wirte nicht darauf
warten. Zum 1. Januar 2010 hat die Bundesregierung den
Mehrwertsteuersatz für das Hotelgewerbe von 19 % auf 7 % gesenkt.
Fassungslos fragt sich die Öffentlichkeit: Warum?
In Deutschland gibt es zwei Mehrwertsteuersätze, den allgemeinen
Steuersatz und den ermäßigten Steuersatz. Im Jahre 1983 betrug der
allgemeine Steuersatz 14 %. Seitdem stieg er über 15 % (ab 1993) und 16
% (ab 1998) auf 19 % (ab 2007). Der ermäßigte Steuersatz von 7 % blieb
hingegen für diesen langen Zeitraum unverändert.
In Deutschland gibt es seit dem 22. Dezember 2009 auch ein "Gesetz zur
Beschleunigung des Wachstums" - sperrig kurz
"Wachstumsbeschleunigungsgesetz" genannt. Darin wird festgelegt, dass
"die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur
kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, sowie die
kurzfristige Vermietung von Campingflächen" ab dem 1. Januar 2010
nurnoch mit 7 % Mehrwertsteuer abgerechnet zu werden braucht.
Steuerverlust für den Staat pro Jahr: 1 Milliarde Euro.
Aber was ist heute schon 1 Milliarde? Von der Süddeutschen Zeitung in
einem Interview am 11.12.09 auf diesen Steuerverlust angesprochen,
reagierte Bundesfinanzminister Schäuble lapidar: "Das war nicht meine
Idee. Politik heißt aber nun einmal, Kompromisse zu schließen."
"Schwarz-Gelb lässt deutsche Hoteliers jubeln", titelte hingegen "Die
Welt" in ihrer Online-Ausgabe vom 26. Oktober 2009, als sich die drei
Regierungsparteien auf dieses Geschenk an das Hotelgewerbe geeinigt
hatten. Denn dass es ein Geschenk ist, an dem die Hotelgäste nur in
seltenen Fällen teilhaben, wurde jüngst vom Hotelpreisvergleichsdienst
"Trivago" bewiesen. Der teilte in einer Presseerklärung mit, dass die
deutschen Hotelpreise im Januar trotz der Mehrwertsteuersenkung nicht
gefallen, sondern im Gegenteil um 1 % gestiegen seien.
Nichts anderes ergaben Recherchen des ZDF-Magazins "WISO", ausgestrahlt
am 11. Januar 2010: Nur 3 von 50 befragten Hotels hatten ihre Preise
gesenkt, und das auch nur minimal.
Dennoch - die Öffentlichkeit nahm die Mehrwertsteuersenkung erstaunlich
gelassen hin. Erst als der "Spiegel" am 16. Januar veröffentlichte,
August Baron von Finck, Mitinhaber der Hotelkette Mövenpick, habe über
Firmen seines Imperiums der CSU 820.000 Euro und der FDP 1,1 Millionen
Euro an Spenden zukommen lassen, schlugen die Wogen der Empörung hoch.
Genau diese beiden Parteien waren ja besonders energisch für die
Senkung eingetreten. Nicht, dass nicht alles rechtens gewesen wäre -
Christian Lindner, Generalsekretär der FDP, verwahrte sich ebenso gegen
Verdächtigungen der Opposition, die FDP sei "käuflich", wie FDP-Chef
und Außenminister Guido Westerwelle. Doch das "Geschmäckle" bleibt,
wenn es nicht sogar ein "Geschmack" ist.
Die Medien sahen es unisono ähnlich. "Die FDP macht sich den Staat zur
Beute" zitierte die "Süddeutsche Zeitung" die Fraktionsvorsitzende der
Grünen, Renate Künast. Und der "Spiegel" titelte am 17.1. in seiner
Online-Ausgabe: "Große Geschenke erhalten die Freundschaft".
Was treibt Parteien nur dazu, sich so leichtfertig den eigenen
Handlungsspielraum für neue Ansätze in der Finanzierung des
Gesundheitssystems zu beschneiden? Für Bundesgesundheitsminister Rösler
(FDP) wird es jetzt nicht leichter.
Denn dass das Gesundheitswesen trotz aller Beteuerung von
Gesundheitspolitikern und Krankenkassen weniger ein Ausgabenproblem,
sondern vielmehr ein Einnahmenproblem hat, war unter Experten schon
immer unumstritten.
Schuld daran sind nicht die Beitragszahler, schuld daran sind auch
nicht die Unternehmen, die trotz allen Jammerns über zu hohe
Lohnnebenkosten nach wie vor vom Grundsatz her zur solidarischen
Finanzierung stehen. Die Schuld trägt der Staat. Er hat, vertreten
durch die jeweiligen Regierungen, das Gesundheitswesen immer als
"Melkkuh" benutzt. Die dämmert nun, weil sie seit Jahrzehnten zu stark
gemolken wird, langsam dem Siechtum entgegen.
Wo gemolken wird? Zum einen waren es immer schon die Belastungen mit
den sogenannten "versicherungsfremden Leistungen". Das sind Kosten in
Milliardenhöhe, die die Politik dem Gesundheitswesen aufgebürdet hat,
die aber nichts mit dem Gesundheitswesen zu tun haben. Bestes Beispiel
dafür waren die horrenden Kosten der Wiedervereinigung, die
größtenteils nicht über Steuern auf alle Bürger verteilt wurden,
sondern durch eine beispiellose "Plünderung der Sozialkassen"
weitgehend den Beitragszahlern der Kranken- und Rentenversicherungen
aufgebürdet wurden.
Zwar hatte sich der Staat im GKV-Modernisierungsgesetz von 2003
verpflichtet, dafür in den nächsten Jahren einen steigenden Zuschuss an
die Gesetzliche Krankenversicherung zu leisten, doch schon 2007 wurde
diese Verpflichtung wieder verwässert.
Ein weiteres Beispiel: Die Bundesagentur für Arbeit erstattet der GKV
für jeden Empfänger von Arbeitslosengeld II eine viel zu geringe
Pauschale. "Würde man ... die Pauschalen auf 180 Euro pro Monat (und
damit auf die Höhe der Durchschnittskosten aller Versicherten) erhöhen,
hätten die Kassen Zusatzeinnahmen von rund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr
und die medizinische Versorgung der Empfänger des Arbeitslosengeldes II
wäre sachgerecht finanziert", so der GKV-Spitzenverband in einer
Presseerklärung vom 7.10.2008. Verschiebebahnhof erster Klasse.
Und ein drittes Beispiel: In Europa liegt Deutschland mit dem vollen
Mehrwertsteuersatz von 19 % für Arzneimittel unangefochten in der
Spitzengruppe. Die meisten Staaten belasten verschreibungspflichtige
Arzneimittel mit Steuersätzen weit unter 10 %; Schweden, Irland und
Großbritannien erheben überhaupt keine Mehrwertsteuer auf
rezeptpflichtige Medikamente. Fünf Milliarden Euro - das hat der
GKV-Spitzenverband errechnet - entzieht der deutsche Staat auf diese
Weise jährlich dem Gesundheitswesen.
Dabei fordern seit Jahren viele gesellschaftliche Gruppierungen,
Verbände und selbst Parteien eine Reduzierung der Mehrwertsteuer für
rezeptpflichtige Arzneimittel zumindest auf den ermäßigten Steuersatz
von 7 %, um die Krankenversicherung zu entlasten. Ob der Spitzenverband
der Gesetzlichen Krankenversicherung GKV oder die ABDA
Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, ob der Verband der
privaten Krankenversicherungen PKV oder die Bundesärztekammer, ob der
Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie BPI oder die
Apothekergenossenschaft NOWEDA - sie und viele weitere Institutionen
und Personen des öffentlichen Lebens fordern seit Jahren, es den
anderen europäischen Ländern gleichzutun und die Mehrwertsteuer auf
Arzneimittel zu senken.
Insbesondere der mächtige Sozialverband VdK mit seinen 1,5 Millionen
Mitgliedern drängt immer wieder auf eine Reduzierung der
Mehrwertsteuerbelastung für Arzneimittel - vergebens. Selbst eine
Unterschriftenaktion im Jahre 2007, der sich 2,3 Millionen Menschen
anschlossen, konnte die Regierung nicht erweichen. Vehement erneuerte
der VdK zuletzt in einer Presseerklärung vom 17.12.2009 seine Forderung
nach einer Entlastung der Patienten durch eine "längst überfällige
Steuerabsenkung bei lebens-notwendigen Arzneimitteln".
Von den Parteien ist es insbesondere die FDP, die sich schon seit
Jahren für einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel
einsetzt. In einer Presserklärung vom 2. November 2007, verfasst vom
damaligen gesundheitspolitischen Sprecher der FDP, Daniel Bahr, heute
parlamentarischer Staatssekretär in Röslers Gesundheitsministerium,
heißt es wörtlich: "Es ist nicht akzeptabel, dass Deutschland neben
Dänemark und Österreich das einzige EU-Land ist, das den vollen
Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel erhebt." Wie wahr.
Jetzt kann die FDP zeigen, ob sie bei den Hoteliers nicht schon ihr Pulver verschossen hat.
WIR SIND BANANENREPUBLIK
Ein Kommentar der Redaktion
In punkto "Parteispendenaffären" sind wir in Deutschland nicht
unerfahren. Immer wenn ein Skandal dieser Art hochkommt, denkt man, das
sollte doch nun wirklich das letzte Mal sein. So dumm können Parteien
doch nicht sein.
Anfang der achtziger Jahre war es die "Flick-Affäre", ein
Parteispendenskandal, der das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik
tief erschütterte und den damaligen Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff
zurücktreten ließ. Als Folge des Skandals hätte es das Wort
"Bananenrepublik" 1984 beinahe zum "(Un-) Wort des Jahres" geschafft:
Spötter meinten - in Anlehnung an die Korruption in Ländern
Mittelamerikas - in jenen Tagen, "BRD" bedeute nichts anderes als
"Bananen-Republik Deutschland". Jetzt sind wir wieder so weit. Nicht
dass FDP und CSU sich haben korrumpieren lassen - das nie und nimmer.
Aber dass Parteien so dumm sind, sich der Verdächtigung auch nur
auszusetzen, zeugt von ungeheurer Instinktlosigkeit. Mit einem solchen
Klotz am Bein kann man nur schwer vernünftige Reformpolitik durchsetzen.
NOWEDA eG
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