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Steuer & Recht |
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts einen Antrag auf Anordnung des Ruhens eines Verfahrens der abstrakten Normenkontrolle abgelehnt. Die Normenkontrolle betrifft Art. 1 Nr. 3 bis 5 des 25. Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (BWahlG) vom 14. November 2020, mit dem im Wesentlichen das Sitzzuteilungsverfahren für die Wahl des Deutschen Bundestages nach § 6 Abs. 5 und 6 BWahlG neu geregelt worden ist. Der Antrag war abzulehnen, weil an der Fortführung des Verfahrens ein öffentliches Interesse besteht.
Sachverhalt:
Die Antragstellerinnen und Antragsteller, 216 Mitglieder des 19. Deutschen Bundestages aus den Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und FDP, haben sich mit einer abstrakten Normenkontrolle gegen Artikel 1 Nr. 3 bis 5 des 25. Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 14. November 2020 gewandt. Sie machen geltend, die angegriffenen Normen seien mit Art. 20 Abs. 3, Art. 20 Abs. 1 und 2 sowie Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und Art. 21 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Der Zweite Senat hat Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt auf den 18. April 2023.
Am 17. März 2023 beschloss der Deutsche Bundestag eine Änderung des Bundeswahlgesetzes, die auch eine Neuregelung der verfahrensgegenständlichen Normen umfasst. Die Befassung des Bundesrates sowie die Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes stehen noch aus.
Die Antragstellerinnen und Antragsteller haben beantragt, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Durch die geplante Änderung des Bundeswahlrechts würden die angegriffenen Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes gegenstandslos. Vor diesem Hintergrund hätten die Antragstellerinnen und Antragsteller zurzeit kein Interesse daran, das Normenkontrollverfahren weiter zu verfolgen. Ein öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens von Amts wegen bestehe nicht, da im Fall der geplanten Rechtsänderung von den verfahrensgegenständlichen Normen für die Zukunft keine Rechtswirkungen mehr ausgingen.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Der Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens ist abzulehnen, weil an seiner Fortführung ein öffentliches Interesse besteht.
I. Das objektive Verfahren der abstrakten Normenkontrolle schützt keine Rechtsstellung des Antragstellers, sondern ausschließlich die Verfassung. Ist das Verfahren durch den Antrag in Gang gesetzt, kommt es für dessen weiteren Verlauf nicht mehr auf die Anträge und Anregungen des Antragstellers, sondern ausschließlich auf Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses an. Daher führt die Rücknahme eines zulässigen Antrags auf Durchführung eines Normenkontrollverfahrens nicht notwendigerweise zu dessen Einstellung. Das Verfahren ist nur einzustellen, wenn keine Gründe für seine Fortführung im öffentlichen Interesse vorliegen. Diese Grundsätze gelten für das Ruhen des Verfahrens entsprechend.
II. Davon ausgehend steht der Anordnung des Ruhens des Verfahrens entgegen, dass ein öffentliches Interesse an seiner Fortführung besteht.
1. Dies folgt zunächst daraus, dass der 20. Deutsche Bundestag auf Grundlage der verfahrensgegenständlichen Normen gewählt bleibt. Wahlrechtsnormen entfalten jedenfalls so lange Rechtswirkung, wie das auf ihrer Grundlage gewählte Parlament Bestand hat. Legitimations- und Integrationsfunktion der Wahl begründen ein erhebliches Interesse an der Feststellung, ob die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf verfassungsmäßiger Grundlage gewählt worden sind.
2. Hinzu kommt, dass der Deutsche Bundestag am 10. November 2022 beschlossen hat, die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag im Land Berlin teilweise zu wiederholen. Dieser Beschluss ist Gegenstand mehrerer Wahlprüfungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht. Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 BWahlG findet die Wiederholungswahl nach denselben Vorschriften wie die Hauptwahl statt. Ihre tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen sollen so weit wie möglich denjenigen entsprechen, die bereits für die Hauptwahl galten. In der Folge hätte eine Wiederholung der Wahl des 20. Deutschen Bundestages grundsätzlich nach den Normen des 25. Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes stattzufinden. Auch insoweit besteht daher ein erhebliches öffentliches Interesse an der Feststellung, ob diese Normen verfassungskonform sind.
3. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass beim Bundesverfassungsgericht weitere Verfahren anhängig sind, die die Frage der Verfassungsmäßigkeit der verfahrensgegenständlichen Normen des Bundeswahlgesetzes betreffen. Zwar können in einem solchen Fall Gründe des öffentlichen Interesses für die Fortführung einer abstrakten Normenkontrolle fehlen. Dies ist jedoch schon mit Blick auf das fortgeschrittene Stadium des vorliegenden Verfahrens nicht der Fall. Insbesondere angesichts der bereits anberaumten mündlichen Verhandlung bietet dieses die Gelegenheit zur zeitnahen Behandlung und Entscheidung der verfassungsrechtlichen Fragen, an deren Klärung das dargelegte öffentliche Interesse besteht.
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