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Steuer & Recht |
Generalanwalt Pikamäe: Die automatisierte Erstellung eines Wahrscheinlichkeitswerts über die Fähigkeit einer Person, einen Kredit zu bedienen, ist ein Profiling im Sinne der DSGVO.
Rechtsverbindliche Beschlüsse einer datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörde müssten gerichtlich umfassend überprüfbar sein.
Die Rechtssache C-634/21 betrifft einen Rechtsstreit zwischen einem Bürger und dem Land Hessen, vertreten durch den Hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (im Folgenden: HBDI), hinsichtlich des Schutzes personenbezogener Daten. Im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit, die darin besteht, ihre Kunden mit Auskünften über die Kreditwürdigkeit Dritter zu versorgen, lieferte die SCHUFA Holding AG einem Kreditinstitut einen Score-Wert in Bezug auf diesen Bürger. Dieser Score-Wert diente als Grundlage für die Verweigerung des von diesem Bürger beantragten Kredits. Der Bürger forderte daraufhin die SCHUFA auf, die darauf bezogene Eintragung zu löschen und ihm Zugang zu den entsprechenden Daten zu gewähren. Die SCHUFA teilte ihm jedoch nur den entsprechenden Score-Wert und in allgemeiner Form die der Methode zur Berechnung des Score-Wertes zugrunde liegenden Grundsätze mit. Sie erteilte ihm aber keine Auskunft darüber, welche konkreten Informationen in diese Berechnung eingeflossen waren und welche Bedeutung ihnen in diesem Zusammenhang beigemessen wurde und begründete dies damit, dass die Berechnungsmethode dem Geschäftsgeheimnis unterliege.
Soweit der betroffene Bürger geltend macht, dass die Ablehnung seines Ersuchens durch die SCHUFA gegen Datenschutzrecht verstoße, wird der Gerichtshof vom Verwaltungsgericht Wiesbaden ersucht, über die Beschränkungen zu entscheiden, die die Datenschutz-Grundverordnung1 (DSGVO) der wirtschaftlichen Tätigkeit von Auskunfteien im Finanzsektor, insbesondere bei der Datenverwaltung, auferlegt, sowie über die Bedeutung, die dem Geschäftsgeheimnis zuzuerkennen ist. Der Gerichtshof wird auch den Umfang der Regelungsbefugnisse zu präzisieren haben, die dem nationalen Gesetzgeber durch einige Bestimmungen der DSGVO abweichend von dem mit diesem Rechtsakt verfolgten allgemeinen Harmonisierungszweck übertragen werden.
In seinen Schlussanträgen führt Generalanwalt Priit Pikamäe zunächst aus, dass die DSGVO ein „Recht“ der betroffenen Person verankere, nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung – einschließlich Profiling – beruhenden Entscheidung unterworfen zu werden.
Der Generalanwalt stellt sodann fest, dass die Voraussetzungen, denen dieses Recht unterliege, erfüllt seien, da:
Die Bestimmung der DSGVO, in der dieses Recht vorgesehen sei, sei somit unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens anwendbar.
Der Generalanwalt unterstreicht, dass die betroffene Person nach einer anderen Bestimmung der DSGVO das Recht habe, von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen nicht nur die Bestätigung zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden oder nicht, sondern auch andere Informationen wie das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling, aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person. Der Generalanwalt ist der Ansicht, dass die Verpflichtung, „aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik“ bereitzustellen, dahin zu verstehen sei, dass sie hinreichend detaillierte Erläuterungen zur Methode für die Berechnung des Score-Wertes und zu den Gründen umfasst, die zu einem bestimmten Ergebnis geführt haben. Generell sollte der Verantwortliche der betroffenen Person allgemeine Informationen übermitteln, vor allem zu bei der Entscheidungsfindung berücksichtigten Faktoren und deren Gewichtung auf aggregierter Ebene, die der betroffenen Person auch für die Anfechtung von „Entscheidungen“ im Sinne der Bestimmung der DSGVO, in der das Recht verankert sei, nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung, einschließlich Profiling, beruhenden Entscheidung unterworfen zu werden, nützlich seien.
Der Generalanwalt kommt zu dem Schluss, dass diese Bestimmung dahin auszulegen sei, dass bereits die automatisierte Erstellung eines Wahrscheinlichkeitswerts über die Fähigkeit einer betroffenen Person, künftig einen Kredit zu bedienen, eine ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung – einschließlich Profiling – beruhende Entscheidung darstelle, die der betroffenen Person gegenüber rechtliche Wirkung entfalte oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtige, wenn dieser mittels personenbezogener Daten der betroffenen Person ermittelte Wert von dem Verantwortlichen an einen dritten Verantwortlichen übermittelt werde und jener Dritte nach ständiger Praxis diesen Wert seiner Entscheidung über die Begründung, Durchführung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses mit der betroffenen Person maßgeblich zugrunde lege.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat zwei weitere Vorabentscheidungsersuchen zur DSGVO vorgelegt (Rechtssachen C-26/22 und C-64/22). Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen zwei Bürgern und dem Land Hessen, vertreten durch den HBDI, über Anträge dieser Bürger beim HBDI auf Löschung einer Eintragung betreffend eine Restschuldbefreiung bei der SCHUFA. Im Rahmen der diese Bürger betreffenden Insolvenzverfahren wurde ihnen mit gerichtlichen Beschlüssen eine vorzeitige Restschuldbefreiung erteilt. Dieser Umstand wurde im Internet amtlich veröffentlicht, und der Eintrag nach sechs Monaten gelöscht. Die SCHUFA speichert solche veröffentlichten Informationen über vorzeitige Restschuldbefreiungen in ihrem Datenbestand, löscht sie aber erst drei Jahre nach der Eintragung. Die vom nationalen Gericht gestellten Fragen betreffen unter anderem die Rechtsnatur der Entscheidung der mit einer Beschwerde befassten Aufsichtsbehörde sowie den Umfang der gerichtlichen Kontrolle, die das Gericht im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine solche Entscheidung ausüben kann. Die Rechtssachen betreffen auch die Frage der Rechtmäßigkeit der Speicherung personenbezogener Daten aus öffentlichen Registern bei Wirtschaftsauskunfteien.
In seinen Schlussanträgen weist Generalanwalt Pikamäe als Erstes darauf hin, dass sich die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung aus einer Abwägung der verschiedenen betroffenen Interessen ergeben müsse, wobei die berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten überwiegen müssten. Die Aufsichtsbehörde, die nach der DSGVO jede etwaige Beschwerde der betroffenen Person wegen Verletzung ihrer Grundrechte zu behandeln habe, habe zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Verarbeitung erfüllt seien. Sollte diese Person schließlich gemäß der DSGVO einen Rechtsbehelf gegen einen Beschluss der Aufsichtsbehörde einlegen, obliege es den nationalen Gerichten, eine wirksame gerichtliche Kontrolle sicherzustellen. Nach Ansicht des Generalanwalts unterliegt ein rechtsverbindlicher Beschluss einer Aufsichtsbehörde einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle in der Sache, wodurch die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs gewährleistet werde.
Als Zweites führt der Generalanwalt aus, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten nach der DSGVO unter drei kumulativen Voraussetzungen zulässig sei:
Herr Pikamäe merkt an, dass die erheblichen negativen Folgen, die die Speicherung der Daten für die betroffene Person nach Ablauf des fraglichen Zeitraums von sechs Monaten haben werde, gegenüber dem geschäftlichen Interesse des privaten Unternehmens und seiner Kunden an der Speicherung der Daten nach diesem Zeitraum zu überwiegen scheinen. In diesem Kontext sei hervorzuheben, dass die gewährte Restschuldbefreiung dem Begünstigten ermöglichen solle, sich erneut am Wirtschaftsleben zu beteiligen. Dieses Ziel würde jedoch vereitelt, wenn private Wirtschaftsauskunfteien berechtigt wären, personenbezogene Daten in ihren Datenbanken zu speichern, nachdem diese Daten aus dem öffentlichen Register gelöscht worden seien.
Der Generalanwalt kommt zu dem Schluss, dass die Speicherung der Daten durch eine private Wirtschaftsauskunftei nicht auf der Grundlage der Bestimmung der DSGVO, in der die oben genannten Voraussetzungen aufgeführt sind, rechtmäßig sein könne, wenn die personenbezogenen Daten über eine Insolvenz aus den öffentlichen Registern gelöscht worden seien. Was den Zeitraum von sechs Monaten betrifft, in dem die personenbezogenen Daten auch in öffentlichen Registern verfügbar seien, sei es Sache des vorlegenden Gerichts, die angeführten Interessen und Auswirkungen auf die betroffene Person gegeneinander abzuwägen, um festzustellen, ob die parallele Speicherung dieser Daten durch private Wirtschaftsauskunfteien auf dieser Grundlage rechtmäßig sei.
Als Drittes unterstreicht der Generalanwalt, dass die DSGVO vorsehe, dass die betroffene Person das Recht habe, zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten gelöscht werden, wenn sie Widerspruch gegen die Verarbeitung einlege und wenn diese Daten unrechtmäßig verarbeitet worden seien. Nach Ansicht des Generalanwalts hat die betroffene Person in einem solchen Fall daher das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden. Es sei Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob es ausnahmsweise vorrangige berechtigte Gründe für die Verarbeitung gebe.
1 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1).
Schlussanträge C-634/21, C-26/22 und C-64/22 vom 16.03.2023
Quelle: EuGH
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