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Steuer & Recht |
Das Landgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass die Betreiberin eines Zuges nach einem tödlichen Unfall an einem Gleisübergang trotz erheblichen Eigenverschuldens einer verunglückten Person anteilig haftet, wenn die Betriebsgefahr der Bahn wegen der Beschaffenheit des Bahnübergangs erhöht war.
Im Jahr 2015 war an einem Bahnübergang in Kelkheim-Münster im Main-Taunus-Kreis eine 16-jährige Schülerin auf dem Weg zur Schule von einem Zug erfasst worden. Das Mädchen verstarb noch an der Unfallstelle. Der Bahnübergang liegt in einem Wohngebiet und wird von Fußgängern genutzt. Vor den Gleisen befindet sich ein sogenanntes Drängelgitter bzw. eine Umlaufsperre. Lichtzeichen oder akustische Warnsignale werden beim Passieren eines Zuges nicht abgegeben.
Die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung zahlte Sterbegeld an die Hinterbliebenen und verklagte die Betreiberin der Schienenbahn auf Erstattung von 40 Prozent dieser Kosten. Sie argumentierte: Zwar habe das Mädchen ein Eigenverschulden an dem Unfall getroffen. Die beklagte Bahnbetreiberin treffe aber ein Mitverschulden, weil der Bahnübergang nur durch das Drängelgitter gesichert gewesen sei, das auch Kinder und Jugendliche unachtsam passierten.
Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 23.02.2022 in zweiter Instanz entschieden, dass die Betreiberin der Bahn zu einem Drittel für den Unfall hafte. Das Landgericht hat damit eine Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt am Main bestätigt und eine Berufung der Bahnbetreiberin zurückgewiesen.
In dem Berufungsverfahren vor dem Landgericht wurden mehrere Gutachten verschiedener Sachverständiger eingeholt. Aufgrund dieser ausführlichen Expertisen stellte die Kammer des Landgerichts fest, dass die Betriebsgefahr des Zuges bei dem tödlichen Unfall wegen der Beschaffenheit des Bahnübergangs maßgeblich erhöht war. Das rechtfertige trotz eines erheblichen Eigenverschuldens der Schülerin eine Mithaftung der Bahnbetreiberin.
Die Kammer stellte fest, dass an dem Bahnübergang die notwendige „Übersicht“, also die Sichtweite zu einem herannahenden Zug, zwar noch gegeben sei. Dies aber erst, sobald der Fußgänger schon durch das Drängelgitter hindurchgegangen sei und sich unmittelbar vor den Gleisen befände. Bis zu diesem Moment werde die Sicht nach den Angaben beider Sachverständiger zum einen durch die am Gleisübergang wachsenden Hecken und außerdem durch ein dort befindliches Warnschild eingeschränkt.
Das Landgericht Frankfurt am Main erklärte außerdem in seinem Urteil: „Der Sachverständige (…) hat einen weiteren (…) erheblichen Mangel des Bahnüberganges festgestellt: Der lichte Abstand der Umlaufsperre zur Gleisachse, also der Gleismitte, ist zu gering.“ Nach den einschlägigen Vorschriften (Vorschrift für die Sicherung der Bahnübergänge bei nichtbundeseigenen Eisenbahnen, BÜV NE) müsse die Entfernung vom Drängelgitter zur Gleismitte 3 Meter betragen, zum ersten Gleisstrang mindestens 2,25 Meter. An der Unfallstelle seien es jedoch nur 2,60 Meter zur Gleismitte bzw. 1,85 Meter zum ersten Gleisstrang. Die fehlenden 40 Zentimeter seien nicht unerheblich, denn sie entsprächen bei mäßigem Lauftempo in etwa einem Schritt. „Zum ersten Gleisstrang fehlen fast 20 % des notwendigen Abstandes“, stellte die Kammer fest.
„Die Gesamtschau dieser Faktoren führt dazu, dass der betreffende Bahnübergang (…) sehr gefährlich ist und jedenfalls hinsichtlich des Abstandes der Umlaufsperre zu den Gleisen gegen die einschlägigen Vorschriften verstößt“, schlussfolgerte die Kammer. Und weiter: „Es ist außerdem beachtlich, dass es sich um einen Gleisübergang innerhalb eines Ortes in einem Wohngebiet handelt, der regelmäßig von Schulkindern begangen wird. Zwar ist es nach § 11 Abs. 9 EBO erlaubt, eine Bahnstrecke („nur“) durch eine Übersicht und Umlaufsperre zu sichern. Dass das im konkreten Fall ausreicht, ist damit freilich nicht gesagt.“
Das Urteil des Landgerichts ist rechtskräftig (Aktenzeichen: 2-01 S 168/17).
LG Frankfurt am Main
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